

[uv]magazin: Nachhaltigkeit wird häufig als Belastung, reine Vorschrift oder gar Zwang empfunden. Wie sehen Sie das?
Ansgar Schöllgen: Wer die Gesetzeslage und die vorliegenden Vorschriften kennen möchte, müsste 1.000 Seiten lesen, z. B. die europäischen Standards für Nachhaltigkeit (CSRD, ESRS) oder den European Green Deal. Das belastet Unternehmen erheblich, sie fühlen sich „erschlagen“ und sehen keinen Mehrwert.
Sebastian Kremser: Hinzu kommt die Vorstellung, dass die Vorgaben sofort und zu 100 Prozent erfüllt werden müssen. Die klassische Vorgehensweise, dass das ein Prozess ist und kleine Lösungen schon ein Erfolg sind, wird gerne übersehen. Viele Unternehmen haben schon Fortschritte erzielt und gleichzeitig herrscht das Gefühl vor: Wir tätigen hier unproduktive Ausgaben, wir sind unsicher über den Grad der Erfüllung, uns ist nicht klar, wie es richtig gemacht werden muss, oder: wir schaffen das doch ohnehin nicht.
Entstehen so nicht genau Zweifel am Sinn dieser Gesetze?
Ansgar Schöllgen: Es gibt vereinzelt Berater, die mit Angst und Befürchtungen arbeiten. Wodurch das Thema dann in ein Narrativ gepackt wird, welches gegenüber Nachhaltigkeit Widerstand erzeugt. Gleichzeitig werden die Erfolge und die Sinnhaftigkeit von Nachhaltigkeit zu wenig betont.
Auf was kommt es für die Unternehmen an, um unter den gegebenen Rahmenbedingungen nachhaltig zu bestehen?
Sebastian Kremser: Zum nachhaltigen Wirtschaften gehören finanzielle Punkte, Ressourcen, Effizienz sowie der Umgang mit Mitarbeitenden, Lieferanten, Gesellschaft, Umfeld... Nachhaltigkeit entsteht durch gute Beziehungen, schafft Vertrauen und ist am Ende auch ein Wettbewerbsvorteil. Es ist ähnlich wie beim Qualitätsmanagement, das zu einer zwingenden Voraussetzung für viele Geschäftskontakte wurde.


Ansgar Schöllgen M.A. (LinkedIn), Phoch3 Consult, Bonn
Ansgar Schöllgen arbeitet in der Beratung seit mehr als 30 Jahren mit anerkannten Methoden zur Kommunikation und Teamentwicklung. Er bringt 25 Jahre Führungserfahrung und mehr als 18 Jahre Beratungserfahrung in der Begleitung komplexer Veränderungsprozesse, u.a. in der Automobilindustrie, Luft und Raumfahrt und Ministerien mit. Parallel dazu sanierte er eine familiäre Firmengruppe. Neben der beratenden Tätigkeit leitet er seit 2018 ein Unternehmen zur Sanierung und Entwicklung von Geländen und Gebäuden.
Er begleitet mittelständische Unternehmen in z.T. mehrjährigen Veränderungsprozessen mit dem Schwerpunkt Bewusstseins- und Verhaltensänderungen.
Die langjährigen Erfahrungen fließen in die Arbeit mit den IDG ein.
Viele Betriebe fragen sich: Wo fangen wir überhaupt an?
Ansgar Schöllgen: Unternehmen, die ein Qualitätsmanagement betreiben, haben bereits erste Schritte getätigt. Es kommt jetzt darauf an, sich bewusst zu machen, wo das eigene Handeln schon auf Nachhaltigkeit einzahlt. Die ersten kleinen Schritte sind ein erfolgreicher Start in die Nachhaltigkeit. Es geht darum anzufangen. Nachhaltigkeit ist eine Entscheidung für einen ständigen Entwicklungsprozess.
Sebastian Kremser: Durch iteratives Vorgehen, Experimentieren und Reflektieren werden Erfahrungen und beobachtbare Ergebnisse gesammelt. Die so genannten SDGs, Sustainable Development Goals, können als Orientierung dienen, um ein Nachhaltigkeitsmanagement Schritt für Schritt aufzubauen. Diesem Zweck dienen auch die IDG, Inner Development Goals.


Auf diese Ziele und auch die Unterschiede kommen wir gleich noch zu sprechen. Aber vorab: Woran scheitern Unternehmen typischerweise: Beim Messen, beim Kommunizieren oder schon beim Auswählen relevanter Ziele?
Sebastian Kremser: Oft erschwert die Haltung der 100 %-Lösungen die Umsetzung der SDG. Dabei habe Unternehmen häufig schon viel in dieser Richtung getan. Die Veränderungen zwingen zur Bearbeitung grundsätzlicher Fragen, wie:
- Was sind unsere Werte?
- Wofür stehen wir?
- Wie wollen wir die Ziele erreichen?
- Was müssen wir für die Erreichung im Unternehmen verändern?
Ansgar Schöllgen: Wir bringen beim Seminar „Nachhaltiges Management“ im HAUS DER UNTERNEHMER immer Beispiele mit, wie Unternehmen durch das Hinterfragen ihrer Vorgehensweise und Haltung erfolgreicher und zufriedener auf dem Markt agieren können. Ein Beispiel: Es gibt den Schuhhersteller „bitis“ aus Vietnam, der durch die Umstellung zentraler Werte eine komplett andere Kultur schuf, die ihn nun erfolgreich macht.
Grundsätzlich stellen wir fest: Nach der Beantwortung der Fragen und Anpassung der Strategie, schreibt sich ein Nachhaltigkeitsbericht fast von allein. Nachhaltigkeit wird dann zum eigenen Ziel, das dem Unternehmen hilft, nachhaltig zu bestehen. Die Nachhaltigkeitsziele werden nicht von außen aufgedrückt, sondern als hilfreiches Instrument der Unternehmensführung wahrgenommen.
Wie hängen SDGs und IDGs zusammen und wie genau helfen sie bei der Unternehmensführung?
Sebastian Kremser: Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der SDG, die von der UN verabschiedet wurden, beschreiben Ziele zur Lösung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Problemen, die zum Erhalt des Klimas weltweit erreicht werden müssen. Nach der Hälfte der Zeit zeigte sich, dass die Maßnahmen zur Zielerreichung unzureichend sind und die Ziele der SDG so nicht erreicht werden können.
Die IDG sind aus einer Runde von Fachleuten entstanden, die sich mit Transformation beschäftigen. Diese Expertise führte zu den ersten Entwürfen der IDG, die dann in einem weltweiten iterativen Prozess verabschiedet wurden. Die Kernbotschaft der IDG lautet: Ohne eine innere Entwicklung der Einstellung und der Haltung können die Ziele der SDG nicht erreicht werden.


Ansgar Schöllgen: Aus Transformationsprozessen bei Organisationen und Unternehmen wissen wir, das genau an diesem Punkt Veränderungen scheitern. Es werden Ziele, Prozesse und Strukturen verändert. Vielleicht wird noch notwendiges Wissen und Kenntnisse aufgebaut. Es fehlt jedoch die Unterstützung der Veränderung der inneren Haltung und des Verhaltens.
Herr Kremser, Sie sind der IDG Düsseldorf Hub Koordinator, um das Thema bekannter zu machen. Was ist Ihre Botschaft?
Sebastian Kremser: Die IDG beschreiben, mit welcher inneren Haltung und Einstellung, kognitiv, sozial und relational, die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können. Hier wird ganz konkret auf die Unterstützung des oft vernachlässigten, aber wichtigen Aspektes der Emotionen eingegangen.
In jedem Veränderungsprozess gilt: Ohne innere Entwicklung gibt es keine äußere Entwicklung. Auch wenn das heute oft vernachlässigt wird: Kooperation, Zusammenarbeit, Wertschätzung, gemeinsame Ziele, abgestimmtes Vorgehen, pragmatische Lösungen usw. sind langfristige Erfolgskriterien. Das gilt für Organisationen und Gesellschaften.


Sebastian Kremser (LinkedIn), Personal- & Organisationsentwickler, IDG Düsseldorf Hub Koordinator
Sebastian Kremser war 12 Jahre Offizier der Bundeswehr und als Reserveoffizier ist er heute Führungskräftecoach am Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz. Nach seiner aktiven Zeit als Soldat hat er sich 2013 mit InTeams Development als studierter Wirtschafts- und Organisationswissenschaftler selbstständig gemacht. InTeams Development steht für individuelle Entwicklung als Führungskraft und Teamentwicklung und unterstützt diese dabei die Fähigkeiten zu entwickeln, die sie ein nachhaltiges und durchhaltefähiges wirtschaften in der Gegenwart und Zukunft benötigen.
Durch seine Arbeit an den Themen Innere Führung und Entwicklung ist er 2020 auf die Inner Development Goals (IDG) aufmerksam geworden und hat sich die Rolle des IDG Düsseldorf Hub Koordinators gezogen, mit dem Ziel dieses Thema in der Region bekannt zu machen.
Die IDGs beschreiben 23 innere Fähigkeiten in fünf Dimensionen, die dabei unterstützen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen.


Weiterführende Informationen rund um die "IDG" gibt es hier:
Kontakt zur Autorin:


Jennifer Middelkamp
Pressesprecherin
Regionalgeschäftsführung Kreise Borken | Kleve
